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Die regionalen Handwerker-Bruderschaften im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

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Erläuterungen zur Karte

Die große Lebendigkeit des Vereinswesens ist ein Kennzeichen der mittelalterlichen Gesellschaft, war die Bildung von Korporationen (Körperschaften) doch eine Möglichkeit, um die Wechselfälle des Lebens besser zu bewältigen. Im Gefolge der Klosterbewegung hatten sich confraternitates oder confrariae seit der Epoche der Karolinger entwickelt. Befeuert von der gesellschaftlichen Nachfrage der die großen Handelsachsen markierenden Städte, setzte seit dem 12. Jahrhundert eine Intensivierung von Handel und Handwerk ein, in deren Zuge die in Zünften oder Korporationen zusammengefassten Metiers immer stärker alle Tätigkeiten organisierten und regelten, die mit der Herstellung und dem Verkauf jener zahlreichen Produkte verbunden waren, die einer lokalen oder weiter entfernten Bevölkerung angeboten wurden. Für die Zeitgenossen war die Arbeit ganz selbstverständlich Teil eines Strebens nach Seelenheil. Jedes Gewerbe (oder Zusammenschlüsse mehrerer Gewerbe) bildete deshalb Bruderschaften aus, in die auf der Basis von Freiwilligkeit (im Prinzip) jene Menschen eintreten konnten, die nach einem besonders ausgeprägten christlichen Lebenswandel strebten. Verbindendes Element der Mitbrüder waren religiöse Beschäftigungen: gemeinsame liturgische Zeremonien, die mitunter in eigenen Kapellen abgehalten wurden, die Verehrung des Schutzheiligen mit zahlreichen Veranstaltungen, vor allem aber Bestattungen, die alle Mitbrüder bei der Feier, dem christlichen Begräbnis und dem Gedächtnisgebet einbezogen. Die Rolle der Bruderschaften erstreckte sich jedoch in einem weiteren Sinne auf alle Formen des Beistands für die Mitbrüder, z. B. im Fall eines Unfalls, einer Witwenschaft, eines Brandschadens, eines Diebstahls usw. Die Beiträge, die jedes Mitglied „in den Bruderschaftskasten“ legte, dienten dazu, die verschiedenen Ausgaben (u. a. Gerichtsgebühren) zu begleichen. Besondere Ereignisse im Jahreslauf boten Gelegenheit, sich zusammenzufinden und als gemeinsame Körperschaft aufzutreten: die jährlichen Versammlungen, die gewöhnlich mit einem geselligen Trinkgelage (die potacio) einhergingen, oder die Prozession durch die gesamte Stadt, mit der das Ansehen der Bruderschaft zum Ausdruck gebracht werden sollte. Wie überall in Europa erlebten die Handwerker-Bruderschaften auch im Elsass ihr Goldenes Zeitalter in der Blütezeit des Handwerks, also zwischen dem 13. und dem ausgehenden 15. Jahrhundert.

Über mehrere Jahrzehnte hinweg hat Louis Schlaefli, Bibliothekar des Grand Séminaire von Straßburg, die Elsässer Archive und Bibliotheken durchforstet, um alle Bruderschaften zu erfassen, die von den Anfängen beginnend bis in unsere Zeit in der Diözese Straßburg (vor 1790 umfasste das Bistum auch große Teile des aktuellen Departements Bas-Rhin, dazu die Ortenau, aber weder das Krumme Elsass, noch die Region von Weißenburg/Wissembourg – vgl. die Karte des „Atlas“) sowie im Bistum Basel (vor 1790 deckte dieses in etwa das Gebiet des aktuellen Departements Haut-Rhin ab – vgl. die Karte des „Atlas“) existierten. Auf diese Weise hat er eine außergewöhnlich ergiebige Datenbank zusammengetragen (maschinenschriftliches Manuskript von 605 Seiten), welche die bislang verfügbaren Standardwerke (vor allem Barth) ergänzt und auffrischt. Folgt man den Arbeiten von L. Schlaefli, dann zählte das Elsass über alle Perioden hinweg 4.525 Handwerker-Bruderschaften bzw. Bruderschaften, die sich der Pflege der Frömmigkeit verschrieben hatten. Mehrere Karten, die auf der Basis dieser Datenbank erstellt wurden, sind Teil des „Atlas historique de l’Alsace“.

Die erste Karte dieser Serie gibt 35 Fälle von regionalen Handwerker-Bruderschaften wieder, die von der ältesten (1321, Spielleute von Rappoltsweiler/Ribeauvillé) bis zur letzten Erwähnung (1673, Zimmerleute von Willgottheim) reichen. Kennzeichnend für diese Bruderschaften war, dass sie ihre Mitglieder nicht nur in einer Stadt, einem Marktflecken oder einer Herrschaft rekrutierten, sondern in der gesamten Region. Ihr Funktionsprinzip war im Elsass – aber, vor allem in der Frühen Neuzeit, auch auf dem anderen Rheinufer – das eines Netzwerks. Versammlungen hielten diese Bruderschaften in verschiedenen, je nach Gelegenheit ausgewählten Städten in einem ausgedehnten Raum ab, der bis nach Neuenburg und Breisach reichte. Beispiele sind die Gerber von Schlettstadt/Sélestat (1512), die Strumpfwirker von Straßburg (1605), die Gesamtheit der Handwerke in Breisach. Ein und dieselbe „regionale“ Bruderschaft wird also in mehreren Städten erwähnt: die Färber (1659) in Benfeld, Erstein und Molsheim. Meister und Gesellen kamen jedoch nicht in den gleichen Bruderschaften zusammen. Hervorzuheben ist die große Mannigfaltigkeit der regionalen Handwerke und Bruderschaften, die das alltägliche Zusammenleben bestimmten: Kleidung (Färber, Stricker und Strumpfwirker, Gerber), Nahrungsmittel (Bäcker, Müller, Fischer), Bauhandwerk (Ziegelbrenner, Maurer, Zimmerer, Steinmetze), Werkzeuge und Gerätschaften (Kesselschmiede, Töpfer), Gesundheit (Chirurgen, Barbiere), schließlich Transportmittel (Stellmacher), von den vielfältigen Ressourcen der Viehzucht (Hirten) ganz abgesehen.

Hauptquelle

Archive der Diözese Straßburg, Archive der Departements Haut-Rhin und Bas-Rhin, Kirchenarchive.

Literaturüberblick

  • BARTH (Médard), Handbuch der elsässischen Kirchen im Mittelalter, Archives de l’Église d’Alsace, 1960-1963.
  • CHÂTELLIER (Louis), Tradition chrétienne et renouveau catholique dans le cadre de l’ancien diocèse de Strasbourg (1650-1770), Paris, 1981.
  • RAPP (Francis), Réformes et Réformation à Strasbourg: Église et société dans le diocèse de Strasbourg (1450-1525), Paris, 1974.
  • zahlreiche Monographien.

 

Odile Kammerer, 2011

Übersetzung: Falk Bretschneider