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Ländliche Welt und Revolution im Oberelsass (1789)

Ländliche Welt und Revolution im Oberelsass (1789) Vergrößern

Eigenschaften

Autor und Institut Alain J. Lemaître, CRESAT
Historische Zeiträume Hoch- und Spätmittelalter
Themen Révolte
CartographeJean-Philippe Droux, ARCHMIEDE, CNRS
SkalaDépartement
Entstehungsdatum2008
Datum der letzten Änderung2011
QuellePERY Émilie, Les Émeutes de juillet 1789 dans le sud de l’Alsace : une Grande Peur ?, mémoire de master d’histoire, dir. Alain J. Lemaître, université de Haute Alsace, Mulhouse, 2008
Diese Karte zitierenAlain J. Lemaître, « Ländliche Welt und Revolution im Oberelsass (1789) », in Atlas historique d'Alsace, www.atlas.historique.alsace.uha.fr, Université de Haute Alsace, 2011

Erläuterungen zur Karte

Ländliche Welt und Revolution im Oberelsass (1789)

Seit ihrer Definition durch Georges Lefebvre 1930 hat die den Eintritt der Bauern in die Französische Revolution markierende „Grande Peur“ („Große Furcht“) immer wieder Debatten provoziert. Die einen sahen in ihr Massen am Werk, die auf die Bewahrung gemeindlicher Praktiken bedacht waren und sich deshalb sowohl den Grundherren als auch dem agrarischen Individualismus widersetzten. Andere hingegen hoben die gleichermaßen der Macht der Grundherren wie der bürgerlichen Herrschaft geltende Feindseligkeit der Bauernschaft hervor. Die im Juli 1789 den Oberelsass berührenden Ereignisse ermöglichen eine Präzisierung der Begriffe der Debatte. Denn diese Rebellionen müssen zunächst aus ihrem besonderen Rhythmus, ihrer Geographie und ihren Aktionsformen heraus beurteilt werden, um zu verstehen, welchen Platz sie beim Ausbruch der Revolution einnahmen.

Die Karte versucht, die räumliche Chronologie des Aufstands zu rekonstruieren, der hauptsächlich die Vogteibezirke von Sankt Amarin, Gebweiler (Guebwiller), Wattweiler und Uffholtz erfasste. Die Nachricht vom Sturm auf die Bastille hatte das Tal von Sankt Amarin am 25. Juli 1789 erreicht. Mit ihr entstand eine neue Dynamik der Spannungen, die sich in den vorangegangenen Wochen und in der Folge von explodierenden Preisen, einer steigenden Verunsicherung und der Nachricht von aus der Franche-Comté einfallenden Räuberbanden angestaut hatten. Am 26. Juli marschierten die Aufständischen von Sankt Amarin und Malmerspach los und zogen in Richtung Thann. Dort wurden sie am 27. Juli von einer aus den Orten Masmünster (Masvaux), Rodern und Leimbach zusammengeströmten Menge empfangen, die sich nach Uffholtz und Gebweiler wandte. Bis zum 29. Juli schwollen ihre Ränge mit den Einwohnern von Lautenbach, Gebweiler, Raedersheim, Feldkirch, Ungersheim, Regisheim, Ensisheim und Pulversheim weiter an. Der Aufstand vereinte somit zwischen 3.000 und 5.000 Personen, für deren Zurückdrängung die Armee mit 200 Kavalleristen aus dem Regiment Champagne und unterstützt von 800 Männern aus dem Regiment Zweibrücken zwei Tage benötigen sollte, wobei einzelne Aufständige auch erhängt wurden. 

Der Aufstand zeichnete sich durch mehrere Besonderheiten aus: Zunächst setzten sich die Aufrührer keinesfalls nur aus Bauern zusammen, sondern umfassten viel allgemeiner die Einwohner der Täler und Wälder der Vogesen, Stadtbewohner wie Dörfler, Männer und Frauen. In der Menge fanden sich selbstredend Landarbeiter, aber auch Handwerker, Arbeiter aus den zahlreichen Textilbetrieben und metallurgischen Unternehmen der Täler und sogar Bürger von Thann, die im Zwist mit ihrem Magistrat lagen. Der Aufstand erscheint also wie der Knotenpunkt von mehreren konvergierenden und konkurrierenden Revolten. Zweitens gehorchte die Erhebung zwar ihren eigenen Rhythmen und blieb ein spontanes Werk. Gleichzeitig lief sie aber völlig synchron zu den Unruhen ab, die im gleichen Moment den Sundgau durchzogen, wo Aufständische die Schlösser von Hirsingen (Hirsingue), Karspach, Hirzbach und Niedersept (Seppois-le-Bas) verwüsteten. Drittens war die Menge mit Gewehren, Lanzen, Säbeln, Äxten, Metzgerhaken, Hacken und Knüppeln bewaffnet. Zur Gewalt gegen Personen und Gegenstände griff sie zunächst, um sich die Eigentumstitel der Grundherren in den Tälern aushändigen zu lassen. Gleichzeitig attackierte sie aber auch die Schlösser und plünderte sie. In der Tradition der Volksaufstände waren Ziel ihrer Angriffe in erster Linie die Repräsentanten der Grundherren, Steuerpächter, Einnehmer eines Vogteibezirks, Verkäufer von Tabak oder Pulver (die mit königlichem Monopol gehandelt wurden), Forstwächter. In Gebweiler verwüstete die bewaffnete Menge die Residenz des Fürstabts von Murbach und die Wohnsitze der Chorherren, plünderte die Getreidevorräte, nahm den Wein in Beschlag und zerstörte die fürstlichen Karossen. Besonders hervor stach der Aufstand im Elsass jedoch durch wiederholte Aggressionen gegen Juden, besonders in Bollweiler und Uffholtz, wo Wohnungen und Synagogen verwüstet und geplündert wurden. Gleiches geschah auch bei weiteren Unruhen in Rixheim, Sierenz, Blotzheim und an anderen Orten des Sundgaus. Schließlich hatte der Aufstand, wie überall in Frankreich, auch eine festliche Dimension, der Wein floss unter den Aufständischen in Strömen.

Die Unruhen im südlichen Elsass zeigen so zwar Gemeinsamkeiten mit den charakteristischen Kennzeichen der „Grande Peur“, wie sie Georges Lefebvre in seinen verdienten Arbeiten definiert hat. Die Chronologie des Aufstands und seine Stellung im Zeitlauf der Ereignisse, die allgemeine Unsicherheit, die in Städten wie auf dem Land herrschte, die Gerüchte und die Panik hinsichtlich des Einfalls von Räuberbanden, die – sehr punktuelle und vorübergehende – Unterstützung durch Bürger sprechen dafür, diese gewaltsamen Demonstrationen als Bestandteil der revolutionären „Grand Peur“ anzusehen. Gleichzeitig suchte man jedoch vergeblich nach Spuren einer aristokratischen Verschwörung – eine im Übrigen kürzlich von Timothy Tackett kritisierte Idee – und mehr noch einer Vorherrschaft der Bauern bei dieser Erhebung. Schließlich müssen die Aufstände vom Juli 1789 nicht nur im Licht der Französischen Revolution gesehen werden, sondern auch aus der Tradition der bäuerlichen Erhebungen im Elsass heraus erklärt werden, deren Geschichte wir durch neuere Arbeiten von Mittelalterhistoriker inzwischen besser kennen. Sieht man vom konkreten Ereignis ab, das die Aufstände auslöste, schrieb sich die Menge in den Tälern der Vogesen auch einem Jahrhundert der Rebellion ein. In jedem Fall handelte es sich um eine für den Zerfall einer organischen Gesellschaft repräsentative Menge, die am Ende jenes Monats Juli 1789 zu den Waffen griff und die vom Sundgau und den Tälern der Vogesen ausgehend – ohne es zu wissen – Teil jener weitaus größeren Bewegung wurde, die am 4. August 1789 in die Abschaffung der Privilegien mündete.

Quellen:

  • PERY (Émilie), Les Émeutes de juillet 1789 dans le sud de l’Alsace: une Grande Peur?, Magisterarbeit im Fach Geschichte, Betreuung Alain J. Lemaître, Université de Haute Alsace, Mülhausen, Juni 2008.

Literatur:

  • BERNIER (Isabelle), Négoce et industrie à Mulhouse au XVIIIe siècle, 1696-1798, CNRS-Université de Toulouse-Le Mirail, Toulouse, 2008.
  • AUTORENKOLLEKTIV, Sur la pluralité des mondes industriels (XVIIIe-XIXe siècles). Contribution à une intelligence du capitalisme. Faire de l’Histoire avec Gérard Gayot. Beiträge der Tagung von Januar 2010 in Lille (im Druck).
  • LEFEBVRE (Georges), La Grande Peur de 1789 (1930), daran anschließend: Les Foules révolutionnaires, Armand Colin, Paris, 1988.
  • TACKETT (Timothy), La Grande Peur et le complot aristocratique, in: Annales historiques de la Révolution française 335 (2004), S. 1-19.
  • BIARD (Michel Biard), DUPUY (Pascal), La Révolution française. Dynamiques et ruptures. 1787-1804, (2004), Armand Colin, Paris, 2008, S. 159-179.
  • BISCHOFF (Georges), La guerre des paysans. L’Alsace et la révolution du Bundschuh. 1493-1525, La Nuée Bleue, Paris, 2010.

Übersetzung: Falk Bretschneider

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